KI: Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts
KI stellt eine Schlüsseltechnologie dar, die eine der maßgeblichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bildet. Unternehmen, die sich mit der Entwicklung von KI basierten Systemen beschäftigen, kommt dabei eine wichtige Verantwortung zu: Nicht nur, wenn es um die technische Umsetzung und Machbarkeit geht, sondern auch mit Blick auf die Voraussetzungen, Motivationen und Konsequenzen des Einsatzes von KI in zentralen Bereichen menschlichen Lebens. Eine menschengerechte Gestaltung von KI in der Arbeitswelt stellt hierbei eines der pragmatischsten Probleme dar. Die Selbstständigkeit der Maschinen bei der Ausübung von immer komplexer werdenden Aufgaben berührt jedoch auch Grundfragen menschlicher Sozialität: Was sind die Voraussetzungen eines geregelten und gerechten Zusammenwirkens von Menschen und Maschinen? Was sind die Hauptmotivationen der Anwendung von KI in Unternehmen und welche Ziele verfolgt die digitale Revolution? Welche Konsequenzen ergeben sich aus einer Interaktion zwischen Menschen und Maschinen?
Chancen und Risiken von KI
Es wird oft darauf hingewiesen, dass KI einer Steigerung der Funktionalität und Nachhaltigkeit in der Produktion sowie einer optimalen Bereitstellung von Produkten und Dienstleistungen dient. In diesem Kontext werden als ernst zu nehmende Probleme u. a. der Anstieg der Marktkonzentration als mögliche Gefahr für den Wettbewerb und staatliches Handeln, sowie ein unvermeidbarer und progressiver Ersatz des Menschen durch KI basierte Systeme zur Ausführung verschiedener Tätigkeiten aufgeführt. Die daraus resultierende Debatte ist auf zwei wesentliche Streitpunkte fokussiert: 1. Eine zunehmende Beeinträchtigung der regulativen Funktion des Staates über bestimmte auf KI basierte Privatunternehmen, 2. Eine ungerechte Arbeitsverteilung, bei der Arbeitsstellen und Tätigkeiten durch Maschinen besetzt werden, ohne dass Menschen KI gesteuerte Prozesse vollumfänglich verstehen können. Der durch KI gesteuerten Produktion und ihren Konsequenzen liegt aber noch eine andere und entscheidende, jedoch nicht immer explizit gemachte Frage zugrunde: Welches Paradigma des humanum kommt zum Ausdruck im Kontext hoch-intelligenter und maschinell durchgeführter Produktion?
Maschinen als dynamische Systeme
In dem wissenschaftlichen Diskurs der 1990er wurde bereits auf eine künftige Aufhebung der Diskontinuität zwischen Menschen und Maschinen hingewiesen. KI gehört zu einem Wendepunkt der Menschheitsgeschichte: Kopernikus hat die die Wende vom Kosmozentrismus zum Heliozentrismus durchgeführt; Darwin hat die Diskontinuität zwischen Menschen und Tieren in seiner Evolutionstheorie in Frage gestellt; Freud hat die Auffassung der menschlichen Psyche von einem Ich-zentrierten zu einem durch das Unbewusste bestimmten Subjekt radikal geändert. Auf eine ähnliche Weise zeigt die Technologie des maschinellen Lernens, dass Mensch und Maschine nicht so diskontinuierlich sind, wie man bisher gedacht hat – und zwar nicht, weil der Mensch zum Teil wie ein maschinelles System funktioniert, sondern grundsätzlich, weil die Sicht auf die Maschinen im digitalen Zeitalter nicht mehr „mechanistisch“ gedacht werden kann. Maschinen gewinnen den Status von „dynamischen Systemen“.
Kreative Potentiale der Mensch-Maschine-Interaktion
KI zeigt ein zunehmend „symmetrisches Verhältnis“ zwischen Menschen und Maschinen, d. h. keinen bloßen „Gebrauch“ der Maschinen, sondern eine wahre „Interaktion“ (zwischen zwei Intelligenzen), woraus sich eine soziale und kulturelle Herausforderung ableiten lässt. Der Umgang des Menschen mit der Maschine ist nicht bloß auf „Funktionen“ oder „Rollen“ begrenzt. Das Verhältnis schließt kognitive und sogar kreative Prozesse mit ein und öffnet einen ganz anderen Horizont Mit dem Einsatz von KI vollzieht sich eine Wende in der Art der sozialen Interaktion, weil Maschinen nicht mehr als „Objekte“ erscheinen, sondern als (nicht-menschliche) „Subjekte“, die bei komplexen Prozessen nicht nur „steuern“, sondern auch „mit-entscheiden“ – und, bei einem falschen Umgang des Menschen mit ihnen, sogar „dominant werden“ – können. Durch die Sozialisierung des Menschen mit der Maschine wird KI zu einer beinahe horizontalen Symbiose von kreativen Potentialitäten gesteigert, in der Mensch und Maschine als zwei selbstständige und aufeinander bezogene Entitäten zusammenwirken. Bisher galt, dass ein selbstkalkulierendes System (maschinell) ohne organische Dynamik (menschliche Intervention) zur Selbst-Zerstörung verurteilt ist. Hier zeigte sich eine Grenze zwischen der maschinellen Funktionalität und der menschlichen Kreativität. Mit der Entwicklung von KI sind diese Grenzen nicht mehr so deutlich, worin einer der Grundherausforderungen der globalen Gesellschaft im digitalen Zeitalter besteht.
KI: Zwischen Faszination und Bedrohung
Eine Reihe von Fähigkeiten fallen auf die Seite der Maschinen, die bisher nur dem humanum (als einem mit Vernunft versehenen Lebewesen) zugerechnet worden sind. Aus diesem Zusammenhang erwächst ein neues Bild des Menschen und eine andere Form seines Weltverhältnisses. Mit der fortschreitenden Entwicklung von KI kann der Mensch weder als ‚Krone der Schöpfung‘ noch als ‚Herrscher über die Natur‘ konzipiert werden kann. Er erscheint vielmehr als ein ko-evoluierender Organismus inmitten eines komplexen Zusammenhanges von nicht-menschlichen, maschinell-gesteuerten und kreativen (natürlichen und künstlichen) Existenzen, welche eine Welt gleichwertig mitschaffen und gestalten. Dieser Zusammenhang ist nicht nur faszinierend, sondern auch beängstigend. Faszinierend wegen der Art von Wissenschaftsfortschritt, die der Prozess mit sich bringt. Beängstigend wegen der Tatsache, dass das Fortschreiten viel zu schnell und wandlungsreich ist, um durch eine gleichzeitige Steuerung des neuen menschlichen Umgangs mit Maschinen im Bereich der Informatik eingeholt werden zu können.
Technologische Revolution und ökologische Krise
Bedrohlich ist die Situation eines durch menschliche Reflexion uneinholbaren Fortschritts der KI aber nur, wenn sich der Mensch über die gegenwärtigen Probleme globaler Art nicht im Klaren ist, welche in einem Zusammenhang mit den Voraussetzungen, Motivationen und Zielen des Einsatzes von KI zu sehen sind. Ein Hauptaspekt dieser Problematik ist die Tatsache, dass es bei der Entwicklung von KI nicht nur um eine Entlastung von gefährlichen Tätigkeiten oder eine Unterstützung bei Entscheidungen über komplexe Prozesse geht, sondern um ein ökologisch nicht mehr haltbares Ziel von unendlicher Produktion und der Optimierung von Prozessen. Die begrenzten Naturressourcen verlangen angesichts der globalen Erwärmung und des Verlusts der Biodiversität einen anderen Umgang mit Technologie sowie die Aufbewahrung eines menschlichen Handlungsspielraumes gegenüber dem Unvorhersehbaren von natürlichen Prozessen. Die technologische Revolution von KI sollte dieser Herausforderung gerecht werden. Ein erster Schritt wäre die Frage danach, was eine nachhaltige KI ausmacht und wie Rahmenbedingungen geschaffen werden können, um KI Anwendungen im Sinne der Nachhaltigkeit einzusetzen und zu einer Transformation zur Nachhaltigkeit beizutragen.
Ethik im Zeitalter der Technokratie
In diesem Sinne muss der Entwurf einer ethischen Ko-Evolution von Menschen und Maschinen von Grund auf durchgedacht werden. Dabei geht es u. a. darum, dass der Mensch nach und nach zu einer neuen Sensibilität für dynamische Systeme gelangt. Wenn ihm dies gelingt, kann er auf seine bisher als selbstverständlich hingenommene Dominanz über alle anderen Existenzen verzichten und eine bescheidene Position in einem komplexen Netzwerk von menschlichen und nicht-menschlichen „Subjekten“ einnehmen. Diese bescheidene Position ist alles andere als eine Schwäche. Sie könnte zum Aufbau einer soliden, aber auch dynamischen und durchreflektierten Ethik im Zeitalter der Technokratie beitragen. Solch eine Ethik lässt die ökologischen Effekte von neuen technologischen Prozessen nicht außer Acht und wirkt kreativ und kompensatorisch gegen die zunehmende Automatisierung einer unreflektierten Anwendung von technischem Kalkül zur Optimierung von Handlungszielen.
Im digitalen Zeitalter ist der Mensch nur dann „bedroht“, wenn er über seine eigenen Grenzen hinweggeht und eine isolierte, auf sich selbst bezogene Position einnimmt.
Maximilian Schneider – Ainovate
Ko-Evolution von Mensch und Maschine
Im digitalen Zeitalter ist der Mensch nur dann „bedroht“, wenn er über seine eigenen Grenzen hinweggeht und eine isolierte, auf sich selbst bezogene Position einnimmt. KI kann – anders als bisher gedacht – als eine Gelegenheit für den Menschen gedacht werden, im Umgang mit einer anderen Form von (maschineller) Intelligenz bisher kaum gedachte Prozesse in Gang zu setzen, in denen die rasante Entwicklung der Technik zum ersten Mal zu einer Wiederherstellung von Relationen auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Kontexten (auch im Umgang mit der Natur) führt. Dies verlangt eine neue Art des Denkens, eine qualitative Änderung in der individuellen und kollektiven Reflexion über die technische Herausforderung einer neuen Form von nicht-menschlicher Intelligenz. Wenn die Gestaltung von Technologien dieser Art ethisch bedacht wird und ethische Reflexion sich nicht bloß auf pragmatische Entscheidungen einschränkt, sondern das Spektrum der Konsequenzen und Weiterentwicklungen umfasst, können die Gefahren in Vorteile und das Bedrohende in ein Versprechen auf bessere Kooperationen gewandelt werden. Ko-Evolution von Menschen und Maschinen ist eine neue Form von Relation, welche von allen anderen Formen von Beziehungen, die das gesellschaftliche Sein aus globaler Sicht ausmacht, nicht mehr getrennt werden kann.
Autor
Maximilian Schneider
Managing Director, Ainovate GmbH